Verhalten von Spulen / Induktivitäten
Ein Beitrag von Günter König.
Dieser Artikel ist die Fortsetzung der Betrachtung über das Verhalten
von Kondensatoren.
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Zur Erinnerung noch mal der Messaufbau:
1. Die Spule an Gleichspannung - Einschaltvorgang
Für die weiteren Erklärungen betrachten wir nun den Widerstand
R2, die Spule L1
und deren Spannung UL1 sowie den Strom
IL1.
Wir beginnen mit dem Einschaltverhalten einer Induktivität und schauen
auf das entstehende Diagramm:
Im oberen Drittel des Diagramms haben wir wieder die Eingangsspannung
eingetragen, in der Mitte den Strom IL1 und unten die Spannung UL1.
Versuchen wir, die Kurven zu deuten:
Unmittelbar nach dem Einschalten zeigt uns die Spannung UL1
einen Maximalwert während der Strom IL1
bei 0 liegt. Die Spannung UL1 ist hier
gleich der Eingangsspannung. Wenn aber dann der Strom IL1
gleich 0 ist bedeutet das doch, das der Widerstand unendlich hoch sein
muss.
Im Einschaltmoment ist der Strom durch die Spule theoretisch = 0 da der
Widerstand = unendlich hoch ist.
Als „Eselsbrücke“ für den Stromverlauf können
wir uns merken:
Induktivität - Strom kommt zu spät!
Im weiteren Verlauf steigt der Strom nach der e-Funktion auf seinen
Höchstwert an, der durch die Größe des Widerstandes R2
bestimmt wird und in diesem Falle bei 1 mA liegt. Ein Maß für
den zeitlichen Verlauf des Stromanstiegs wird durch das Verhältnis
L/R bestimmt und wieder als Zeitkonstante Tau bezeichnet:
Tau = L / R (Sekunden, Ohm, Henry)
und bestimmt den Punkt, wo der Strom auf 63 % seines Maximalwertes angestiegen
ist. Mit unserer Dimensionierung R = 1 kOhm und 100 Henry erhalten wir
für Tau: 100 / 1000 = 0,1 Sekunden. Was also wieder heißt,
das bei 0,2 Sekunden (0,1 Sekunden nach dem Einschalten) 63 % des Maximalstroms
erreicht werden. Wie beim Kondensator die Maximalspannung nach ca. 5 Tau
erreicht wird, ist es hier mit dem Strom. Für die Berechnung des
Stromes nach einer beliebigen Zeit können wir folgende Formel benutzen:
IL = UIN/R2
* (1-e-(T/Tau)) [Ampere, Volt, Ohm, Sekunden]
Wobei sich aus UIN/R2 der maximal erreichbare Strom errechnet.
Beispiel: Wir wollen den Strom nach 5 Tau
errechnen also nach 0,6 Sekunden. Für Tau haben wir 0,1 Sekunden
errechnet, demnach sind 5 Tau = 0,5 Sekunden. Setzen wir also ein:
(1/1000)*(1-e-(0,5/0,1)) = 0,993262 mA
Schauen wir auf die Stromkurve im Diagramm, stellen wir fest: Stimmt auffallend!!
So, wir wollen jetzt mal die Werte unserer Spule ändern und auch
den Widerstand anders dimensionieren. Setzen wir mal für die Spule
einen Wert von 2,2 Henry ein und als Widerstand R2
nehmen wir einen Wert von 22 kOhm. Unsere Spannungsquelle liefert uns
eine Spannung UIN von 1 Volt. Wir wollen
nun wissen, wie hoch der Strom IL1 nach
Tau und nach 3 Tau ist. Wie gehen wir vor?
Berechnen wir als erstes den maximalen Strom
I = UIN/R2
= 1 / 22000 = 0,00004545 Ampere oder 0,04545 mAmpere (mA) oder 45,45 µAmpere
(µA)
Nun berechnen wir Tau nach L/R = 2,2/22000 = 0,0001 Sekunden. Dies entspricht
einer Zeit von 100 µSekunden (µS). Demnach sind 3 Tau = 300
µS. Da wir in diesem Falle einmal T = Tau = 100 µS und im
zweiten Fall T = 3 Tau = 300 µS ist es einfach. Als erste Ergebnisse
haben wir nun:
IL1 = 45,45 µA
T = 100 µS
T2 = 300 µS
Rechnen wir weiter:
IL(Tau) = IL1
* (1 - e -(T/Tau)) = 0,00004545 * (1 - e -(0,0001 /0,0001))
= 0,00002873 mA
Dies entspricht einem Strom von = 28,7µA
Für den zweiten Zeitpunkt ersetzen wir nur die Zeit T in obiger Formel:
IL(Tau) = IL1
* (1 - e -(T/Tau)) = 0,00004545 * (1 - e -(0,0003 / 0,0001))
= 0,000043187 A
Dies entspricht einem Strom von = 43,19 µA
Fassen wir jetzt die Ergebnisse zusammen:
Nach 100 µS beträgt der Strom durch die Spule 28,7 µA
und ist nach 300 µS auf einen Wert von 43,10 µA angestiegen.
Zur Kontrolle sehen wir uns nochmal das Diagramm für diese Werte
an und vergleichen die Realität mit unseren Ergebnissen (Dieses und
wie alle anderen Diagramme wurden übrigends mit einem Spice Simulationsprogramm
erstellt).
Was wissen wir nun wenn wir unsere Ergebnisse mit dem Diagramm vergleichen?
1. Wir haben richtig gerechnet (hoffentlich).
2. Der Stromverlauf bei der Spule entspricht dem Spannungsverlauf beim
Kondensator.
3. Der Spannungsverlauf der Spule entspricht dem Stromverlauf beim Kondensator.
4. Der zeitliche Verlauf des Stromes ist abhängig von der Dimensionierung
von R und L.
Ob die Spule eine zugeführte Spannung wie ein Kondensator speichern
kann, können wir zur Zeit noch nicht feststellen. Aber wir haben
doch Energie zugeführt, es floss ein Strom und eine Spannung lag
auch an... Bringen wir Licht ins Dunkle und schauen uns eine der interessantesten
Erscheinungen in der Elektrophysik an:
2. Die Spule an Gleichspannung - Ausschaltvorgang
Wir nehmen zur Betrachtung wieder die alten Werte mit R2 = 1 kOhm und L1 = 100 H. Weiters nehmen
wir an, das unsere Spannungsquelle wieder eine Spannung von 1 Volt abgibt.
Nach 100mS schalten wir dann die Spannung ab. Was passiert? Werfen wir
einen Blick auf das Diagramm:
Im oberen Drittel sieht man, wie nach 0,1 Sekunde die Spannungsquelle
abgeschaltet wird, also auf 0 Volt zurück geht. Man kann sehen, dass
bis jetzt ein Strom von 1 mA geflossen ist.
Aber nach dem Abschalten fließt weiterhin Strom. Er nimmt zwar wieder
nach der e-Funktion ab, aber es fließt ein Strom.
Was ist mit der Spannung? Als die Spannungsquelle eingeschaltet war, lag
sie bei 0 Volt. Jetzt, unmittelbar nach dem Abschalten liegt sie bei -
1 Volt. Wie ist denn das zu erklären? Wurde da etwa doch irgendwas
gespeichert?
Jetzt müssen wir aber doch etwas weiter ausholen: Also, fließt
ein Gleichstrom durch eine Spule bauen sich um die Spule herum magnetische
Feldlinien auf. Das lässt sich mittels eines Kompasses in unmittelbarer
Nähe der Spule beweisen: Wird die Spannung eingeschaltet, wird auch
die Kompassnadel ausgelenkt. Unmittelbar nach dem Abschalten sind diese
Feldlinien noch stabil vorhanden. Da aber nun kein Strom mehr fließt
um das Magnetfeld aufrecht zu erhalten, fallen die Feldlinien zusammen
und erzeugen aber nun in der Spule eine Spannung. Man sagt, sie induzieren
eine Spannung. Charakteristisch für diese Spannung ist, dass sie
der angelegten Spannung entgegen wirkt.
Diesen Vorgang bezeichnet man als „Selbstinduktion“!
Die entstehende Spannung nennt man „Selbstinduktionsspannung“!
Wie man also sieht, wurde wohl doch etwas gespeichert. Bei der Spule ist
es so, das die zugeführte Energie in einem magnetischem Feld gespeichert
wird und beim Abschaltvorgang wird nun diese gespeicherte Energie wieder
abgegeben. In unserer Testschaltung wird die Spule über die Spannungsquelle
und dem Vorwiderstand geladen. Entladen wird sie über dem Vorwiderstand
und der Spannungsquelle. Daher sehen die Lade- und Entladekurven auch
von den Werten her identisch aus.
3. Die Selbstinduktion bei unterschiedlicher Ladung - Entladung
Im Normalbetrieb verläuft die Ladung / Entladung aber nicht gleich.
Denken wir doch an ein Relais: Das wird über einen Schalter an Betriebsspannung
gelegt und eingeschaltet. Anschließend öffnen wir den Schalter
und das Relais fällt ab. Wie sieht denn dann die Entladung aus? Um
das festzustellen, fügen wir in unserer Testschaltung einen Schalter
ein und bezeichnen ihn mit "S".
Wir schalten die Spannungsquelle ein und schließen den Schalter.
Das Magnetfeld wird nun aufgebaut. Währenddessen machen wir uns noch
ein paar Vorgedanken über die Zeitkonstante der Schaltung mit dem
Schalter. Beim Laden liegen der Kontaktwiderstand des Schalters und der
Vorwiderstand in Reihe zur Spule. Der Widerstand des Schalters ist gering,
im Bereich von ca. 0,001 Ohm. Danach ist die Zeitkonstante
Tau = L / (R2 + RSchalter)
100 / (1000 + 0,001) = 99,99999 mS
Ist der Schalter geöffnet, wird der Widerstand des Schalters sehr
hochohmig. Er liegt dann bei mehreren 1000 MOhm.
Die Zeitkonstante ist bei angenommenen 2000 MOhm: 100 / (1000 + 2000E6
Ohm) = 0,5 µS
Das heißt, die Entladung findet sehr schnell statt und durch die
schnelle Änderung des Magnetfeldes wird eine hohe Spannung induziert.
Mit anderen Worten, die entstehende Abschaltspannung (Selbstinduktionsspannung)
ist sehr hoch! Betrachten wir uns das Ganze mal in einer immer wieder
vorkommenden Schaltstufe, einer Relaisschaltung:
In der Box "Ansteuerung" steckt irgendeine Auswerteschaltung,
die uns die Spannung UST für den Schalttranstor
Q1 zur Verfügung stellt. Die Spannung
+U ist die Betriebsspannung für die Relaisstufe. Wir gehen davon
aus, dass die Ansteuerung eine Spannung bereitgestellt hat so das unser
Relais angezogen ist. Nach 2 mS schaltet das Relais ab. Wir messen an
den Punkten +U und UL1 . Betrachten wir
das Diagramm:
Man sieht, dass nach zwei Millisekunden eine recht hohe aber sehr kurze,
negative Spannungsspitze von knappen -550 V auftaucht. Diese durch Selbstinduktion
entstehende Spitze muss unbedingt vermieden werden, da sie absolut zerstörerisch
auf Halbleiterbauelemente wirkt. Anders gesagt: Das knallt nur noch und
danach ist Schluss mit lustig! Es gilt also zu verhindern, das so etwas
passiert. In der Praxis ist das relativ einfach gelöst, indem man
eine Diode mit entsprechender Belastbarkeit in Sperrichtung parallel zur
Relaisspule schaltet. Das sieht dann folgendermaßen aus:
Wiederholen wir den Schaltvorgang nun nochmals, wird die Sache wesentlich
besser:
Nach 2 mS wird abgeschaltet und die im vorangegangenen Beispiel so hohe
Spannungsspitze ist auf einen Wert von knapp -0,8 V zusammengefallen.
Das liegt nun daran, das die Selbstinduktionsspannung an dem Punkt UL1
positiver als die Spannung an +U ist. Die Diode ist nur in diesem Falle
leitend und begrenzt die Induktionsspannung auf einen absolut ungefährlichen
Wert (gleich der "Schwellspannung" der Diode) und schützt
so die Halbleiterschaltkreise. Im normalen Betrieb liegt die Diode in
Sperrichtung, da die Spannung an +U positiver als an UL1
ist.
Man nennt eine Diode parallel zu einer Induktivität
(Relaisspule, Weichenspulen bei Gleichspannungsbetrieb etc.) auch "Freilaufdiode".
Dies war ein praktisches Beispiel zur Selbstinduktion ganz ohne Rechnerei.
Vielleicht ist ja jetzt so manchem (mancher) klar geworden, warum bei
ihm (ihr) einige Bauteile immer scheinbar grundlos sterben. Für den
praktischen Einsatz ist der angegebene Diodentyp 1N4007 in der Regel gut
geeignet. Oft reichen aber auch Typen wie 1N4148 aus. Dies ist aber abhängig
von den verwendeten Relais. Gibt es keinerlei Daten über den seriellen
Innenwiderstand oder die Induktivität der Relaisspule, sollte immer
4007er Diode gewählt werden.
Auf eine weitergehende Betrachtung der Selbstinduktion und auf mögliche
Berechnungen wollen wir aber nicht mehr eingehen - dies würde ich
zwar gerne machen, es würde aber mit Sicherheit den Rahmen des Ganzen
sprengen.
Danke an Günter
König für den Artikel.
Das sagen User zu diesem Thema (die letzten 5 Beiträge, 6 Beiträge insgesamt):
Grüsse aus Aachen
die Seite ist eine sehr schöne, detaillierte und für den Unterricht an unserem Technischem Gymnasium hervorragend geeignete Darstellung der Funktionsweise einer Spule! Zumal mit dem Schalten eines Relais über einen Transistor gleich ein nachvollziehbares Beispiel aus dem zweiten Kursjahr genutzt wird. Auch die Notwendigkeit der Freilaufdiode ist absolut überzeugend begründet! Schöne Art Messwerte an eine nachvollziehbare Schaltung zu koppeln. Steigert die Lust am nachbauen! Damit wird zwar die Beliebtheit dieser Seite nicht steigen, aber zumindest die Zugriffshäufigkeit ;-) ! Klasse!
Steffen Rottig
etwas zum Verständnis: es ist unerheblich, was an Mechanik hinter der dem Modell steckt.
Fakt ist, das über der Transistorschaltung eine Induktivität geschaltet wird. Ob es sich dabei um ein Relais handelt, oder eine andere Induktive Belastung ist egal. Der dargestellte auftretende Effekt ist immer der Gleiche.
Grüße,
Günter
richtig gesehen! Es ist eine Transistorschaltung, die eine induktive Last schaltet.
Ein Relais stellt eine induktive Last dar, in diesem Falle ist die Spule (Wicklung) des Relais schematisch angedeutet.
Der Transistor wirkt hier nur als Schalter.
Günter
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