Anzeige:
THEMA: Erinnerungen an die Schwäbische Eisenbahn
THEMA: Erinnerungen an die Schwäbische Eisenbahn
ENztäler - 21.04.12 00:43
Hallo zusammeN,
seit vielen Jahren schlummert in meinem Fundus eine Eisenbahn-Festschrift aus dem Ende der 1970ern. In dieser Festschrift ist aus auch ein Kapital "Erinnerungen an die K.W.St.E.", das einfach zu schön ist, um es Euch vorzuenthalten. Es sind Erinnerungen eines Jungen, der auf den kleinen Bahnhof Mühlen (bei Horb am Neckar) als Sohn des Stationsvorstehers um 1910 groß wurde.
Eine schöne Geschichte…
"Was hat wohl ein Bahnhofsvorsteher der K.W.St.E., der Königlich Württembergischen Staatseisenbahn, im Laufe eines Tages zu erledigen? Sein Arbeitstag begann mit einem Kontrollgang. Eine Kontrolltafel aus Eisen - es gab deren zwei, eine quadratische und eine runde - wurde zu dem für die Station vorgesehenen Kontrollstock gebracht und dabei im Winter die Lampen wieder angezündet. Ich glaube, es gab vier solche Gänge während des Tages. Die Züge wurden mit dem Zugemelde-Apparat gemeldet, d.h. ehe der Zug abfahren durfte, musste der Zug von der nächsten Station angenommen werden. Dieses Verfahren wurde später durch das Blocksystem ersetzt.
Voraussetzung für die Benützung des Zugemelde-Apparats war das Beherrschen des Telegraphierens. Es musste von jedem Hilfswärter das Morse-Alphabet gelernt und dann tüchtig "Geben" und "Lesen" geübt werden, um die Telegraphen-Prüfung bestehen zu können.
Mit dem Zugemelde-Apparat wurde so gearbeitet:
"Hb ruft Mc" (Horb ruft Mühlen), Mc antwortet mit Morse: "Hier Mc"
Hb: "Verstanden, Zug 774 a g?" (wird Zug 774 angenommen?)
Mc: "Zug 774 ja."
War Zug 774 in Mc, wurde an Horb gemeldet: "Zug 774 hier"
Ich beherrschte das alles schon sehr früh. Schwierig wurde es für den diensttuenden Hilfswärter, wenn eine Kreuzung verlegt werden musste. Sie hatten eine schwere Hand und waren doch nicht dauernd in Übung: Da waren sie froh, wenn ein besserer Telegraph einsprang.
Der Telegraph verband alle Stationen zwischen Horb und Tübingen. Wenn irgendeine Station auf diesem Apparat arbeitete, hörten das alle Stationen.
Das war wichtig beim Einlegen von Sonderfahrten, meist Lokomotiven, die dann als "Lz" bezeichnet wurden. Sollte ein solcher "Lz" von Horb nach Tübingen fahren, so mussten ja die Stationen verständigt werden: Horb rief der Reihe nach alle Stationen mit ihrer telegraphischen Abkürzung, also so: Horb = Hb; Mühlen = Mc, Eyach = Ey bis Kilchberg = Kch und Tübingen = Tü. Das klang dann so: (tam = lang, Strich; ta = kurz, Punkt): Mc = tamtam tam ta tam ta.
Ich will, obgleich sie mir noch gut in Erinnerung sind, hier nicht die Rufzeichen aller Stationen vorführen. Wenn sich alle Stationen gemeldet hatten, wurde der Text des Telegramms durchgegeben, und das lautete meist so: "Heute verkehrt Lz 8684 Hb - Tü". Der Kurs dieses Lz war aus dem graphischen Fahrplan oder einer vorbereiteten Fahrten-Übersicht zu entnehmen. Nun mussten die "Aussenstellen", die zugeordneten Bahnwärterposten verständigt werden; in Mc waren es die Posten 80, 81, 84 und 86. Das geschah telefonisch.
Der Telegraph brachte auch die MEZ zu bestimmter Stunde, sodass alle Uhren die richtige Eisenbahnzeit hatten; auch der Wetterbericht wurde durchgegeben und an den Stationen ausgehängt. Während des (1. Welt-) Krieges spielte der Apparat eine Rolle als Instrument der Information über Kriegsereignisse. Jeden Tag kam mindestens einmal der Heeresbericht. Oft nahm ich diese Berichte auf, setzte sie also in Normalschrift um. Auch sie wurden öffentlich angeschlagen. Ich erinnere mich noch gut, wie damals die Nachrichten vom Sieg in der großen Schlacht bei Tannenberg und an den Masurischen Seen durchkamen: "Viele tausende Kriegsgefangene, dazu Kriegsmaterial wurde erbeutet." Das kündigte mein Vater mit fünf scharfen Schüssen aus seinem Gewehr an, das er damals besaß.
Das sogenannte Abläuten zeigt die Abfahrt eines Zuges an. Es wurde eine Taste gedrückt, eine Kurbel gedreht und dann setzten sich die Läutwerke zwischen den Stationen in Tätigkeit. In Richtung Horb wurde einmal, in Richtung Tübingen zweimal abgeläutet. Für die Reisenden war das Abläuten ein Zeichen, sich zu beeilen, wenn sie noch rechtzeitig ihren Zug erreichen wollten.
Das Stellwerk war klein, seine Innenausstattung für uns Buben ein Wunder, wie das Gestänge ineinandergriff und verhinderte, dass eine falsche Signalstellung zustande kam. So war es wirklich keine Kunst, die Signale richtig zu stellen.
Zum Innendienst gehörte vor allem der Schalterdienst, das Verkaufen von Fahrkarten, das annehmen von Expressgut, Abrechnen, das Fertigen von Statistiken, das Berichtigen der Vorschriften, der allgemeine Schriftverkehr, das Aufstellen von Dienstplänen usw. Ich durfte immer beim Abrechnen die Nummern der aufliegenden Fahrkarten, das Geld übersichtlich auflegen, um es gut zählen zu können.
Zum Außendienst wäre natürlich der Kontrollgang zu rechnen. Hier darf ich noch einmal den Schutz der Bahnanlagen, aber auch den persönlichen Schutz der Beamten erwähnen. Der Fall, dass ein Fahrgast renitent wurde, was durchaus möglich. Im Büro lag ein schweres Seitengewehr parat. Ich hätte wahrhaftig damit keinen Streich über den Kopf bekommen wollen. Bereit lag auch ein Polizeiknüppel. Mir ist allerdings kein Fall bekannt, bei dem zu diesen Waffen hätte gegriffen werden müssen. Zu seiner persönlichen Sicherheit nahm mein Vater gern eine kleine Stockflinte bei seinen nächtlichen Gängen mit; auch diese wurde nie gebraucht.
Als Bahnpolizist ist mein Vater eigentlich nur einmal aktiv geworden. Das Abspringen vom fahrenden Zug betrieben einige Fahrgäste als Sport. Es war ihnen bald abgewöhnt, ohne zu strafen. Beleidigungen nahm mein Vater nicht gern hin; schließlich war das ja auch von Amts wegen nicht gewünscht. An einem Sonntagmorgen, wir wollte gerade in die Kirche gehen, hielt sich mein Vater noch auf dem Bahnsteig auf. Eben fuhr ein Zug Richtung Horb ab. Ein junger Mann stand auf dem untersten Trittbrett des Personenwagens. Mein Vater rief ihm zu: "Gehen Sie rauf und schließen Sie die Sicherung!" Anstatt diesen wohlgemeinten Rat zu befolgen, blieb dieser stehen und glaubte es wagen zu können, dem alten Eisenbahner zuzurufen: "Halt‘ die‘ Gosch, du alts Rindvieh!". Einen solchen Verkehrston war nun "das alte Rindvieh" nicht gewöhnt und schon sprang es auf den nächsten Wagen des fahrenden Zuges zum nicht geringen Schrecken des freundlichen Herr, dem in Horb einige gute Mark abgeknöpft wurden.
Zum Außendienst zählten noch folgende Arbeiten: Die Arbeit im Güterschuppen, das Bereitstellen der Güter für Entladen. Es hat Zeiten gegeben, da nahm das Be- und Entladen doch einige Zeit in Anspruch. Da half immer alles mit. Auf Sackkarren wurden die Güter über eine kräftige Bohlenpritsche in die Wagen gerollt.
Da ja nicht alles Stückgut in einen Wagen kam, musste der Güterzug immer wieder ein paar Wagenlängen vorgezogen werden. Das war ein Gerangel und Geschaukel! Auf den Grund dieses Stoßens und Pufferns komme ich noch zu sprechen. Wurde Wagen abgestellt oder mussten leere oder beladene Wagen eingestellt werden, mussten vor- oder nachher Wagen geschoben werden, weil die Lokomotive sie nicht dort holen konnte, wo sie standen. Es gab keine Rangierlok. Zum Wagenschieben musste immer die ganze "Mannschaft" antreten; die Abstellgleise machten alle eine kleine Kurve und so ging das Schieben schwer. Der sogenannte "Beißer" war da unentbehrlich; das war ein Hebel mit Geißfuß. Mit ihm zu arbeiten, verlangte Kraft und Geschicklichkeit.
Die weiteren Außenarbeiten will ich nur aufzählen: Das Richten der vielen Erdöllampen, das Anzünden der Signallampen, das Grasen in den Gleisen, das Schneiden der Hecken, das Ölen der Signalrollen, das Schmieren der Weichen, im Winter das Schneeschaufeln, ja das Ziehen eines kleines Schneepfluges in den Gleisen, das Sauberhalten der Aborte, die jedermann zugänglich waren.
Ein Wort zum Anzünden der Signallaternen: Heute wäre wohl kaum etwas dazu zu sagen. Da wird an einem Schalter gedreht und schon flammen die Beleuchtungen auf. Aber das war eben vor rund 60 Jahren doch nicht gar so einfach, denn mit Streichhölzern war da nichts zu machen, insbesondere bei Regen und Sturm. Dieses anzünden wollte geübt und gekonnt sein! Bewaffnete mit einer sturmsicheren Laterne macht sich der verantwortliche Lampenanzünder auf den Weg; das richtete sich natürlich nach der Jahreszeit, früher oder später, je nach dem. Zum Anzünden wurde eine Art Lunte benützt, das war ein Stück Draht, der an der Spitze mit Putzwolle umwickelt war und in "Ruhestellung" in einem mit Erdöl gefüllten, ungefähr 5 cm hohen Näpfchen steckte, das an der Laterne abgebracht war. Beim Anzünden musste darauf geachtet werden, dass die Flamme weder zu hoch noch zu niedrig war; im ersten Fall verrußte die ganze Lampe ziemlich schnell und die Flamme war auf hundert Meter kaum zu sehen, im zweiten Fall erlosch die Flamme.
Ich weiß das alles deshalb noch so gut, weil ich immer wieder zur Kontrolle an das einige hundert Meter entfernte Einfahrtsignal geschickt wurde, um den Stand der Flamme festzustellen.
Mit ganz bestimmten Aufgaben wurde ich regelmäßig betraut, etwa mit dem Zustellen von Expressgut, dem schriftlichen Anmelden eingegangener Güter und vor allem mit der Auszahlung von Pensionen an Pensionäre bzw. Witwen. Das Geld wurde, genau abgezählt, in ein Säckchen gesteckt, die Empfangsliste in einem Umschlag und los ging es. Es hat immer geklappt; ich habe nie einem Pfennig "verschlampert". Besonders gern ging ich nach Ahldorf zum alten Herrn Saile. Er war ein lieber Mann mit schneeweißen Haaren und Backenbart, Veteran von 1866 und 1870/71. Immer wieder musste er mir von seinen Kriegserlebnissen erzählen; er war nämlich an der Schlacht bei Tauberbischofsheim beteiligt gewesen, wo die Württemberger gegen die Preußen gekämpft hatten. Der Besuch bei den alten Bahnwärterwitwen brachte immer kleinere Schwierigkeiten: Frau H. fand einfach die Brille nicht, das war etwas, bis ihr Namen an der richtigen Stelle auf der List war. Bei Frau K. war die Tinte eingetrocknet, Frau A. hatte zwar einen Federhalter, aber keine Feder, und Frau Z. leerte zu meinem Schrecken ihr "Tintenhäfele" auf meine Liste.
Man muss sich heute wundern, dass diese Menschen mit den paar Mark einen ganzen Monat ausgekommen sind; es handelte sich um Beträge um 40 Mark herum".
Ende des 1. Teils. Fortsetzung folgt demnächst
VG
Andreas
Bild von Bahnhof Mühlen heute: http://www.foreveryoung-germany.de/html/Schwarzwald_20080824_013_klein.jpg
Der Güterschuppen und die Gütergleise sind vor Jahren abgerissen worden.
seit vielen Jahren schlummert in meinem Fundus eine Eisenbahn-Festschrift aus dem Ende der 1970ern. In dieser Festschrift ist aus auch ein Kapital "Erinnerungen an die K.W.St.E.", das einfach zu schön ist, um es Euch vorzuenthalten. Es sind Erinnerungen eines Jungen, der auf den kleinen Bahnhof Mühlen (bei Horb am Neckar) als Sohn des Stationsvorstehers um 1910 groß wurde.
Eine schöne Geschichte…
"Was hat wohl ein Bahnhofsvorsteher der K.W.St.E., der Königlich Württembergischen Staatseisenbahn, im Laufe eines Tages zu erledigen? Sein Arbeitstag begann mit einem Kontrollgang. Eine Kontrolltafel aus Eisen - es gab deren zwei, eine quadratische und eine runde - wurde zu dem für die Station vorgesehenen Kontrollstock gebracht und dabei im Winter die Lampen wieder angezündet. Ich glaube, es gab vier solche Gänge während des Tages. Die Züge wurden mit dem Zugemelde-Apparat gemeldet, d.h. ehe der Zug abfahren durfte, musste der Zug von der nächsten Station angenommen werden. Dieses Verfahren wurde später durch das Blocksystem ersetzt.
Voraussetzung für die Benützung des Zugemelde-Apparats war das Beherrschen des Telegraphierens. Es musste von jedem Hilfswärter das Morse-Alphabet gelernt und dann tüchtig "Geben" und "Lesen" geübt werden, um die Telegraphen-Prüfung bestehen zu können.
Mit dem Zugemelde-Apparat wurde so gearbeitet:
"Hb ruft Mc" (Horb ruft Mühlen), Mc antwortet mit Morse: "Hier Mc"
Hb: "Verstanden, Zug 774 a g?" (wird Zug 774 angenommen?)
Mc: "Zug 774 ja."
War Zug 774 in Mc, wurde an Horb gemeldet: "Zug 774 hier"
Ich beherrschte das alles schon sehr früh. Schwierig wurde es für den diensttuenden Hilfswärter, wenn eine Kreuzung verlegt werden musste. Sie hatten eine schwere Hand und waren doch nicht dauernd in Übung: Da waren sie froh, wenn ein besserer Telegraph einsprang.
Der Telegraph verband alle Stationen zwischen Horb und Tübingen. Wenn irgendeine Station auf diesem Apparat arbeitete, hörten das alle Stationen.
Das war wichtig beim Einlegen von Sonderfahrten, meist Lokomotiven, die dann als "Lz" bezeichnet wurden. Sollte ein solcher "Lz" von Horb nach Tübingen fahren, so mussten ja die Stationen verständigt werden: Horb rief der Reihe nach alle Stationen mit ihrer telegraphischen Abkürzung, also so: Horb = Hb; Mühlen = Mc, Eyach = Ey bis Kilchberg = Kch und Tübingen = Tü. Das klang dann so: (tam = lang, Strich; ta = kurz, Punkt): Mc = tamtam tam ta tam ta.
Ich will, obgleich sie mir noch gut in Erinnerung sind, hier nicht die Rufzeichen aller Stationen vorführen. Wenn sich alle Stationen gemeldet hatten, wurde der Text des Telegramms durchgegeben, und das lautete meist so: "Heute verkehrt Lz 8684 Hb - Tü". Der Kurs dieses Lz war aus dem graphischen Fahrplan oder einer vorbereiteten Fahrten-Übersicht zu entnehmen. Nun mussten die "Aussenstellen", die zugeordneten Bahnwärterposten verständigt werden; in Mc waren es die Posten 80, 81, 84 und 86. Das geschah telefonisch.
Der Telegraph brachte auch die MEZ zu bestimmter Stunde, sodass alle Uhren die richtige Eisenbahnzeit hatten; auch der Wetterbericht wurde durchgegeben und an den Stationen ausgehängt. Während des (1. Welt-) Krieges spielte der Apparat eine Rolle als Instrument der Information über Kriegsereignisse. Jeden Tag kam mindestens einmal der Heeresbericht. Oft nahm ich diese Berichte auf, setzte sie also in Normalschrift um. Auch sie wurden öffentlich angeschlagen. Ich erinnere mich noch gut, wie damals die Nachrichten vom Sieg in der großen Schlacht bei Tannenberg und an den Masurischen Seen durchkamen: "Viele tausende Kriegsgefangene, dazu Kriegsmaterial wurde erbeutet." Das kündigte mein Vater mit fünf scharfen Schüssen aus seinem Gewehr an, das er damals besaß.
Das sogenannte Abläuten zeigt die Abfahrt eines Zuges an. Es wurde eine Taste gedrückt, eine Kurbel gedreht und dann setzten sich die Läutwerke zwischen den Stationen in Tätigkeit. In Richtung Horb wurde einmal, in Richtung Tübingen zweimal abgeläutet. Für die Reisenden war das Abläuten ein Zeichen, sich zu beeilen, wenn sie noch rechtzeitig ihren Zug erreichen wollten.
Das Stellwerk war klein, seine Innenausstattung für uns Buben ein Wunder, wie das Gestänge ineinandergriff und verhinderte, dass eine falsche Signalstellung zustande kam. So war es wirklich keine Kunst, die Signale richtig zu stellen.
Zum Innendienst gehörte vor allem der Schalterdienst, das Verkaufen von Fahrkarten, das annehmen von Expressgut, Abrechnen, das Fertigen von Statistiken, das Berichtigen der Vorschriften, der allgemeine Schriftverkehr, das Aufstellen von Dienstplänen usw. Ich durfte immer beim Abrechnen die Nummern der aufliegenden Fahrkarten, das Geld übersichtlich auflegen, um es gut zählen zu können.
Zum Außendienst wäre natürlich der Kontrollgang zu rechnen. Hier darf ich noch einmal den Schutz der Bahnanlagen, aber auch den persönlichen Schutz der Beamten erwähnen. Der Fall, dass ein Fahrgast renitent wurde, was durchaus möglich. Im Büro lag ein schweres Seitengewehr parat. Ich hätte wahrhaftig damit keinen Streich über den Kopf bekommen wollen. Bereit lag auch ein Polizeiknüppel. Mir ist allerdings kein Fall bekannt, bei dem zu diesen Waffen hätte gegriffen werden müssen. Zu seiner persönlichen Sicherheit nahm mein Vater gern eine kleine Stockflinte bei seinen nächtlichen Gängen mit; auch diese wurde nie gebraucht.
Als Bahnpolizist ist mein Vater eigentlich nur einmal aktiv geworden. Das Abspringen vom fahrenden Zug betrieben einige Fahrgäste als Sport. Es war ihnen bald abgewöhnt, ohne zu strafen. Beleidigungen nahm mein Vater nicht gern hin; schließlich war das ja auch von Amts wegen nicht gewünscht. An einem Sonntagmorgen, wir wollte gerade in die Kirche gehen, hielt sich mein Vater noch auf dem Bahnsteig auf. Eben fuhr ein Zug Richtung Horb ab. Ein junger Mann stand auf dem untersten Trittbrett des Personenwagens. Mein Vater rief ihm zu: "Gehen Sie rauf und schließen Sie die Sicherung!" Anstatt diesen wohlgemeinten Rat zu befolgen, blieb dieser stehen und glaubte es wagen zu können, dem alten Eisenbahner zuzurufen: "Halt‘ die‘ Gosch, du alts Rindvieh!". Einen solchen Verkehrston war nun "das alte Rindvieh" nicht gewöhnt und schon sprang es auf den nächsten Wagen des fahrenden Zuges zum nicht geringen Schrecken des freundlichen Herr, dem in Horb einige gute Mark abgeknöpft wurden.
Zum Außendienst zählten noch folgende Arbeiten: Die Arbeit im Güterschuppen, das Bereitstellen der Güter für Entladen. Es hat Zeiten gegeben, da nahm das Be- und Entladen doch einige Zeit in Anspruch. Da half immer alles mit. Auf Sackkarren wurden die Güter über eine kräftige Bohlenpritsche in die Wagen gerollt.
Da ja nicht alles Stückgut in einen Wagen kam, musste der Güterzug immer wieder ein paar Wagenlängen vorgezogen werden. Das war ein Gerangel und Geschaukel! Auf den Grund dieses Stoßens und Pufferns komme ich noch zu sprechen. Wurde Wagen abgestellt oder mussten leere oder beladene Wagen eingestellt werden, mussten vor- oder nachher Wagen geschoben werden, weil die Lokomotive sie nicht dort holen konnte, wo sie standen. Es gab keine Rangierlok. Zum Wagenschieben musste immer die ganze "Mannschaft" antreten; die Abstellgleise machten alle eine kleine Kurve und so ging das Schieben schwer. Der sogenannte "Beißer" war da unentbehrlich; das war ein Hebel mit Geißfuß. Mit ihm zu arbeiten, verlangte Kraft und Geschicklichkeit.
Die weiteren Außenarbeiten will ich nur aufzählen: Das Richten der vielen Erdöllampen, das Anzünden der Signallampen, das Grasen in den Gleisen, das Schneiden der Hecken, das Ölen der Signalrollen, das Schmieren der Weichen, im Winter das Schneeschaufeln, ja das Ziehen eines kleines Schneepfluges in den Gleisen, das Sauberhalten der Aborte, die jedermann zugänglich waren.
Ein Wort zum Anzünden der Signallaternen: Heute wäre wohl kaum etwas dazu zu sagen. Da wird an einem Schalter gedreht und schon flammen die Beleuchtungen auf. Aber das war eben vor rund 60 Jahren doch nicht gar so einfach, denn mit Streichhölzern war da nichts zu machen, insbesondere bei Regen und Sturm. Dieses anzünden wollte geübt und gekonnt sein! Bewaffnete mit einer sturmsicheren Laterne macht sich der verantwortliche Lampenanzünder auf den Weg; das richtete sich natürlich nach der Jahreszeit, früher oder später, je nach dem. Zum Anzünden wurde eine Art Lunte benützt, das war ein Stück Draht, der an der Spitze mit Putzwolle umwickelt war und in "Ruhestellung" in einem mit Erdöl gefüllten, ungefähr 5 cm hohen Näpfchen steckte, das an der Laterne abgebracht war. Beim Anzünden musste darauf geachtet werden, dass die Flamme weder zu hoch noch zu niedrig war; im ersten Fall verrußte die ganze Lampe ziemlich schnell und die Flamme war auf hundert Meter kaum zu sehen, im zweiten Fall erlosch die Flamme.
Ich weiß das alles deshalb noch so gut, weil ich immer wieder zur Kontrolle an das einige hundert Meter entfernte Einfahrtsignal geschickt wurde, um den Stand der Flamme festzustellen.
Mit ganz bestimmten Aufgaben wurde ich regelmäßig betraut, etwa mit dem Zustellen von Expressgut, dem schriftlichen Anmelden eingegangener Güter und vor allem mit der Auszahlung von Pensionen an Pensionäre bzw. Witwen. Das Geld wurde, genau abgezählt, in ein Säckchen gesteckt, die Empfangsliste in einem Umschlag und los ging es. Es hat immer geklappt; ich habe nie einem Pfennig "verschlampert". Besonders gern ging ich nach Ahldorf zum alten Herrn Saile. Er war ein lieber Mann mit schneeweißen Haaren und Backenbart, Veteran von 1866 und 1870/71. Immer wieder musste er mir von seinen Kriegserlebnissen erzählen; er war nämlich an der Schlacht bei Tauberbischofsheim beteiligt gewesen, wo die Württemberger gegen die Preußen gekämpft hatten. Der Besuch bei den alten Bahnwärterwitwen brachte immer kleinere Schwierigkeiten: Frau H. fand einfach die Brille nicht, das war etwas, bis ihr Namen an der richtigen Stelle auf der List war. Bei Frau K. war die Tinte eingetrocknet, Frau A. hatte zwar einen Federhalter, aber keine Feder, und Frau Z. leerte zu meinem Schrecken ihr "Tintenhäfele" auf meine Liste.
Man muss sich heute wundern, dass diese Menschen mit den paar Mark einen ganzen Monat ausgekommen sind; es handelte sich um Beträge um 40 Mark herum".
Ende des 1. Teils. Fortsetzung folgt demnächst
VG
Andreas
Bild von Bahnhof Mühlen heute: http://www.foreveryoung-germany.de/html/Schwarzwald_20080824_013_klein.jpg
Der Güterschuppen und die Gütergleise sind vor Jahren abgerissen worden.
Beitrag editiert am 21. 04. 2012 17:46.
Hallo Andreas,
vielen Dank dafür!
Viele Grüße,
Thomas (der die Epoche I sehr gerne mag)
vielen Dank dafür!
Viele Grüße,
Thomas (der die Epoche I sehr gerne mag)
Auch von mir vielen Dank dafür. Das zeigt sehr lebendig den Bahnalltag zu dieser Zeit. Soll Dein Thread auf diese Quelle beschränkt bleiben, oder möchtest Du, daß auch andere Texte ähnlichen Inhalts hier gepostet werden sollen? Dann würde ich mal im Bücherregal graben...
LG, Andreas
LG, Andreas
Hallo Andreas,
wenn Du Zeit, Lust und Launen hast, dann greife doch einfach in Dein Bücherregal. Ich freue mich schon jetzt auf Deine Beiträge
VG
Andreas
wenn Du Zeit, Lust und Launen hast, dann greife doch einfach in Dein Bücherregal. Ich freue mich schon jetzt auf Deine Beiträge
VG
Andreas
Hallo zusammeN,
hier folgte der 2.Teil:
"An ein Erlebnis denke ich besonders gerne:
Es muss 1919 oder 1920 gewesen sein. Es war in den Ferien und ich natürlich viel im "Büro". Es war ein ruhiger Sonntag und nur wenig Personenverkehr. Das Personal der Station war zu einem Glas Bier in den "Adler" eingeladen, 12 Minuten vom Bahnhof entfernt, mit Blick auf die Bahnstrecke Mühlen - Eyach.
Mein Vater hatte dienstfrei; Dienst hatte Herr Müller. Was machen? Er sollte doch auch in den Genuss eines Freibiers kommen. Nach dem Zug 13.20 Uhr war eine Zugpause bis 16.40 Uhr. Was sollte auch am Sonntag in dieser Zeit geschehen? - "Paul, du könntest die Stallwache übernehmen und im Büro bleiben. Um 16 Uhr ist Herr Müller wieder da." Selbstverständlich sagte ich mit dem Hintergedanken zu, komme, was wolle, ich werde das Kind schon schaukeln. Und ich musste es schaukeln. Die Herren Bahnbeamten waren noch nicht warm auf ihren Wirtshausstühlen, da begann der Telegraphen-Apparat schon zu tickern: tam tam tamta tamta, tam tam tam ta tam ta! Zum Glück ist eben gelernt gelernt. Ran und vorschriftsmäßige Meldung! Schließlich kam der Text: "Heute verkehrt Lz 8684 Horb-Tübingen". -Das wars also.
Jetzt bloß nicht hudeln, sagt man bei uns. Hübsch der Reihe nach die nötigen Vorkehrungen treffen: Zunächst die Posten verständigen - erledigt! 8684? Kurs? Aha, Horb ab 14.18 Uhr, Mc durch 14.23 Uhr. Da muss ja gleich das Abläutesignal aus Richtung Horb ertönen. Und es ertönte, nachdem ich vorher den Lz 8684 am Zugmeldeapparat angenommen hatte. Jetzt müssen die Signale gestellt werden: Durchfahrt, also zweimal drehen, Ausfahrtsignal. Schließen des Bahnübergangs, dann den Lz der Station Eyach anbieten. Warten. Rote Mütze auf den Kopf. Beim Näherkommen der Lok streckte ich den Kopf so weit heraus, dass der Lokführer meine rote Mütze sehen musste. Dann langsam ins Büro zurück. Husch - war die Lok weg, Eyach zu. Signal zurücknehmen, Übergang öffnen, Rückmeldung nach Horb, abwarten der Rückmeldung von Eyach. Fertig.
Den Herren bei Bier war natürlich die Lok nicht entgangen. Mein guter Herr Müller kam im Schweinsgalopp keuchend daher. Er konnte sich nur langsam beruhigen. Ich konnte im erklären, dass ich die ganze Geschichte so erledigt hatte, wie wenn er persönlich anwesend gewesen wäre. Die beteiligten Beamten deckt heute der kühle Rasen. Wir haben alle geschwiegen und erst heute kann ich offen darüber reden. Es gab halt doch eine "Schwäbische Eisenbahn"!
Man kann wohl sagen, dass Mühlen am Rand des Schwarzwaldes liegt: Auf beiden Talseiten messt dunkler Tannenwald, auch auf der Hochebene. Früher wurde auf dem Bahnhof Mühlen viele Langholzwagen beladen, dazu diente eine besonders große Holzrampe. Lange Jahre wurde die Rampe wenig genutzt, bis plötzlich viel Langholz anfiel, weil am 4.Juni 1913, einem Mittwochnachmittag, ein böser Wirbelsturm über die Gegend von Mühlen dahinfegte und dabei den schönen Tannenwald umriss, die Häuser im Dorf teilweise stark beschädigte und den Bahnhof nicht verschont.
Die Gäubahn Eutingen - Horb wurde gesperrt, Tannen lagen über den Gleisen. Im Neckartal war die Strecke schnell freigemacht und zum Glück ging noch der Telegraph. Die Züge fuhren langsam. Zwei Schnellzüge, die über Eutingen kommen sollten, wurden umgeleitet und kamen über das Neckartal herauf. Es war ein toller Betrieb und mein Vater war abends total fertig. Am Sonntag brachten die Züge eine große Schar Schaulustiger. Sowas sah man nicht alle Tage! Ein Beamter aus Horb übernahm den Schalterdienst. Soviel Geld, wie an diesem Sonntag, hatte ich noch nie in der Kasse gesehen.
Ja, und dann kam das Unglück. Beim Langholzladen schlug ein zurückrollender Stamm einem Arbeiter den Unterschenkel ab; es war ein recht komplizierter Bruch, aus der offenen Wunde schauten die Knochensplitter heraus, und Johannes Schneider, so hieß der Mann, schrie immer "Schlagt mich doch tot!". Ich habe diese Worte noch heute in den Ohren. Der Mann wurde nun in einen 2 Meter langen Korb gebettet und im Gepäckwagen nach Tübingen gebracht.
1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Ich erfuhr es nach Schulschluss in Horb. Ein Trupp Soldaten marschierte durch die Stadt; ein Trommler machte auf die Truppe aufmerksam, dann verlas ein Offizier den Mobilmachungsbefehl. Und wenige Tage später rollten die ersten Militärzüge auch durch das Neckartal. Die Wände der Güterwagen, die die Soldaten in die Nähe der Front gebrachten wurden, waren über und über mit Kreidezeichnungen und allerlei optimistischen Parolen überzogen. Nur zu schnell wurde der Optimismus gedämpft.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie damals überall Spione gesehen wurden. Am Tunnel oben, in dem die Gäubahn das Neckartal verlässt, entdeckten einige Männer einen Mann in den Muschelkalkfelsen. Wer kann das sein? Das war doch klar: Der Mann man will den Tunnel sprengen, es ist ein feindlicher Agent! Dann stellte sich heraus, dass es sich um einen harmlosen Strauch handelte. Die Militärverwaltung traute den Spionen zu, die Bahnen zu unterbrechen. Deshalb erschien an einem schönen Tag eine Gruppe von Soldaten mit einem Unteroffizier, um die Bahnwache zu übernehmen. Das Wachzimmer war der Wartesaal, in dem ein Strohlager eingerichtet wurde.
Zur Station zählten, wie schon angedeutet, 4 Bahnwärterposten, die Posten 80, 81, 84 und 86. Die Station hatte die Nummer 83. Ich sehe noch heute die vier Bahnwärter vor mir weiss noch ihre Namen: Ruggaber, Stockburger, Schweizer und Henne.
Ich meinte damals, es wären lauter ältere Männer gewesen: Uniformen dunkel, Kragen hellblau, Dienstmütze, Koppel mit einer Tasche, in der Knallkapseln waren, mit deren Hilfe u.U. ein Zug bei Gefahr in Verzug zum Halten gebracht werden konnten; zur weiteren Ausrüstung gehörte noch eine rote Fahne in einer wasserdichten Hülle. Immer wieder erschienen die Wärter im "Büro" zur Entgegennahme von Informationen.
Ihre Aufgabe? Schließen und Öffnen der eventuell vorhandenen Übergänge. Grasen auf dem Bahngelände und vor allem Bolzen anziehen. Bolzen war der Name für die starken Schrauben. Die mit Hilfe zweier Laschen die Schienenstöße verbanden. Sie wurden laufend locker und mussten immer nachgezogen werden mit einem kräftigen langen Schlüssel, wegen des Drehmoments. Jeder Bahnwärter hatte einen bestimmten Teil der Strecke, von Kontrollstock zu Kontrollstock, zu überwachen. Wer kennt nicht die kleinen Bahnwärterhäuschen, die freilich immer mehr verschwinden, weil sie baufällig sind und abgerissen werden müssen. Bei jedem dieser Häuser stand eine kleine Scheuer, unter der Wohnung war ein kleiner Stall, in dem meist die "Bahnwärterkühe", nämlich Ziegen, untergebracht waren. Der Bahnwärter war weitgehend Selbstversorger. Sie konnten nicht jeden Tag ins benachbarte Dorf gehen, um dort das jeweils Fehlende zu holen. Ich wunder mich noch heute, wie in den kleinen Häuschen gar oft eine recht zahlreiche Familie wohnte. Die Verhältnisse waren wirklich recht bescheiden und es war schon eine Kunst, mit dem kleinen Verdienst auszukommen. Auf eine Tatsache konnten allerdings alle Bahnwärterkinder stolz sein, wenn sie behaupteten, ihre Väter hätten doch wohl die längsten Wiesen, nämlich die langen Bahndämme.
Auf der Strecke war eigentlich das ganze Jahr hindurch, bald da bald dort, Oberbauarbeiter tätig. Nach ihrer Tätigkeit "grampen" (= Schotter unter die Schwellen klopfen) sprach man von den "Grampern". Ungefähr ein Duzend Männer, verschiedenen Alters bildeten eine "Partie", eine "Rotte", wie man später sagte. Vormann bei uns war der lange Hertkorn. In der Nähe der Partie wurde ein einfaches, viereckiges Zelt errichtet zum Unterschlupf bei anhaltendem Regen und zum Einnehmen des Vespers und des Mittagessens. Zwei Reihen Bänke, ein langer Tisch und ein Kanonenöfelchen waren das Mobiliar. Unser Georg Schneider, der später im Krieg schwer verwundet wurde, war zu meiner Zeit der jüngste Gramper, aber ein kräftiger Kerl, der ein Bierfässchen lustig ein paar hundert Meter auf der Schulter trug. Das Bier, das Georg besorgte, kam direkt aus einer kleinen Dorfbrauerei und war billig; das rote kostete 10 Pfennig, das schwarze 12 Pfennig."
Ende des 2. Teils. Fortsetzung folgt demnächst
VG
Andreas
hier folgte der 2.Teil:
"An ein Erlebnis denke ich besonders gerne:
Es muss 1919 oder 1920 gewesen sein. Es war in den Ferien und ich natürlich viel im "Büro". Es war ein ruhiger Sonntag und nur wenig Personenverkehr. Das Personal der Station war zu einem Glas Bier in den "Adler" eingeladen, 12 Minuten vom Bahnhof entfernt, mit Blick auf die Bahnstrecke Mühlen - Eyach.
Mein Vater hatte dienstfrei; Dienst hatte Herr Müller. Was machen? Er sollte doch auch in den Genuss eines Freibiers kommen. Nach dem Zug 13.20 Uhr war eine Zugpause bis 16.40 Uhr. Was sollte auch am Sonntag in dieser Zeit geschehen? - "Paul, du könntest die Stallwache übernehmen und im Büro bleiben. Um 16 Uhr ist Herr Müller wieder da." Selbstverständlich sagte ich mit dem Hintergedanken zu, komme, was wolle, ich werde das Kind schon schaukeln. Und ich musste es schaukeln. Die Herren Bahnbeamten waren noch nicht warm auf ihren Wirtshausstühlen, da begann der Telegraphen-Apparat schon zu tickern: tam tam tamta tamta, tam tam tam ta tam ta! Zum Glück ist eben gelernt gelernt. Ran und vorschriftsmäßige Meldung! Schließlich kam der Text: "Heute verkehrt Lz 8684 Horb-Tübingen". -Das wars also.
Jetzt bloß nicht hudeln, sagt man bei uns. Hübsch der Reihe nach die nötigen Vorkehrungen treffen: Zunächst die Posten verständigen - erledigt! 8684? Kurs? Aha, Horb ab 14.18 Uhr, Mc durch 14.23 Uhr. Da muss ja gleich das Abläutesignal aus Richtung Horb ertönen. Und es ertönte, nachdem ich vorher den Lz 8684 am Zugmeldeapparat angenommen hatte. Jetzt müssen die Signale gestellt werden: Durchfahrt, also zweimal drehen, Ausfahrtsignal. Schließen des Bahnübergangs, dann den Lz der Station Eyach anbieten. Warten. Rote Mütze auf den Kopf. Beim Näherkommen der Lok streckte ich den Kopf so weit heraus, dass der Lokführer meine rote Mütze sehen musste. Dann langsam ins Büro zurück. Husch - war die Lok weg, Eyach zu. Signal zurücknehmen, Übergang öffnen, Rückmeldung nach Horb, abwarten der Rückmeldung von Eyach. Fertig.
Den Herren bei Bier war natürlich die Lok nicht entgangen. Mein guter Herr Müller kam im Schweinsgalopp keuchend daher. Er konnte sich nur langsam beruhigen. Ich konnte im erklären, dass ich die ganze Geschichte so erledigt hatte, wie wenn er persönlich anwesend gewesen wäre. Die beteiligten Beamten deckt heute der kühle Rasen. Wir haben alle geschwiegen und erst heute kann ich offen darüber reden. Es gab halt doch eine "Schwäbische Eisenbahn"!
Man kann wohl sagen, dass Mühlen am Rand des Schwarzwaldes liegt: Auf beiden Talseiten messt dunkler Tannenwald, auch auf der Hochebene. Früher wurde auf dem Bahnhof Mühlen viele Langholzwagen beladen, dazu diente eine besonders große Holzrampe. Lange Jahre wurde die Rampe wenig genutzt, bis plötzlich viel Langholz anfiel, weil am 4.Juni 1913, einem Mittwochnachmittag, ein böser Wirbelsturm über die Gegend von Mühlen dahinfegte und dabei den schönen Tannenwald umriss, die Häuser im Dorf teilweise stark beschädigte und den Bahnhof nicht verschont.
Die Gäubahn Eutingen - Horb wurde gesperrt, Tannen lagen über den Gleisen. Im Neckartal war die Strecke schnell freigemacht und zum Glück ging noch der Telegraph. Die Züge fuhren langsam. Zwei Schnellzüge, die über Eutingen kommen sollten, wurden umgeleitet und kamen über das Neckartal herauf. Es war ein toller Betrieb und mein Vater war abends total fertig. Am Sonntag brachten die Züge eine große Schar Schaulustiger. Sowas sah man nicht alle Tage! Ein Beamter aus Horb übernahm den Schalterdienst. Soviel Geld, wie an diesem Sonntag, hatte ich noch nie in der Kasse gesehen.
Ja, und dann kam das Unglück. Beim Langholzladen schlug ein zurückrollender Stamm einem Arbeiter den Unterschenkel ab; es war ein recht komplizierter Bruch, aus der offenen Wunde schauten die Knochensplitter heraus, und Johannes Schneider, so hieß der Mann, schrie immer "Schlagt mich doch tot!". Ich habe diese Worte noch heute in den Ohren. Der Mann wurde nun in einen 2 Meter langen Korb gebettet und im Gepäckwagen nach Tübingen gebracht.
1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Ich erfuhr es nach Schulschluss in Horb. Ein Trupp Soldaten marschierte durch die Stadt; ein Trommler machte auf die Truppe aufmerksam, dann verlas ein Offizier den Mobilmachungsbefehl. Und wenige Tage später rollten die ersten Militärzüge auch durch das Neckartal. Die Wände der Güterwagen, die die Soldaten in die Nähe der Front gebrachten wurden, waren über und über mit Kreidezeichnungen und allerlei optimistischen Parolen überzogen. Nur zu schnell wurde der Optimismus gedämpft.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie damals überall Spione gesehen wurden. Am Tunnel oben, in dem die Gäubahn das Neckartal verlässt, entdeckten einige Männer einen Mann in den Muschelkalkfelsen. Wer kann das sein? Das war doch klar: Der Mann man will den Tunnel sprengen, es ist ein feindlicher Agent! Dann stellte sich heraus, dass es sich um einen harmlosen Strauch handelte. Die Militärverwaltung traute den Spionen zu, die Bahnen zu unterbrechen. Deshalb erschien an einem schönen Tag eine Gruppe von Soldaten mit einem Unteroffizier, um die Bahnwache zu übernehmen. Das Wachzimmer war der Wartesaal, in dem ein Strohlager eingerichtet wurde.
Zur Station zählten, wie schon angedeutet, 4 Bahnwärterposten, die Posten 80, 81, 84 und 86. Die Station hatte die Nummer 83. Ich sehe noch heute die vier Bahnwärter vor mir weiss noch ihre Namen: Ruggaber, Stockburger, Schweizer und Henne.
Ich meinte damals, es wären lauter ältere Männer gewesen: Uniformen dunkel, Kragen hellblau, Dienstmütze, Koppel mit einer Tasche, in der Knallkapseln waren, mit deren Hilfe u.U. ein Zug bei Gefahr in Verzug zum Halten gebracht werden konnten; zur weiteren Ausrüstung gehörte noch eine rote Fahne in einer wasserdichten Hülle. Immer wieder erschienen die Wärter im "Büro" zur Entgegennahme von Informationen.
Ihre Aufgabe? Schließen und Öffnen der eventuell vorhandenen Übergänge. Grasen auf dem Bahngelände und vor allem Bolzen anziehen. Bolzen war der Name für die starken Schrauben. Die mit Hilfe zweier Laschen die Schienenstöße verbanden. Sie wurden laufend locker und mussten immer nachgezogen werden mit einem kräftigen langen Schlüssel, wegen des Drehmoments. Jeder Bahnwärter hatte einen bestimmten Teil der Strecke, von Kontrollstock zu Kontrollstock, zu überwachen. Wer kennt nicht die kleinen Bahnwärterhäuschen, die freilich immer mehr verschwinden, weil sie baufällig sind und abgerissen werden müssen. Bei jedem dieser Häuser stand eine kleine Scheuer, unter der Wohnung war ein kleiner Stall, in dem meist die "Bahnwärterkühe", nämlich Ziegen, untergebracht waren. Der Bahnwärter war weitgehend Selbstversorger. Sie konnten nicht jeden Tag ins benachbarte Dorf gehen, um dort das jeweils Fehlende zu holen. Ich wunder mich noch heute, wie in den kleinen Häuschen gar oft eine recht zahlreiche Familie wohnte. Die Verhältnisse waren wirklich recht bescheiden und es war schon eine Kunst, mit dem kleinen Verdienst auszukommen. Auf eine Tatsache konnten allerdings alle Bahnwärterkinder stolz sein, wenn sie behaupteten, ihre Väter hätten doch wohl die längsten Wiesen, nämlich die langen Bahndämme.
Auf der Strecke war eigentlich das ganze Jahr hindurch, bald da bald dort, Oberbauarbeiter tätig. Nach ihrer Tätigkeit "grampen" (= Schotter unter die Schwellen klopfen) sprach man von den "Grampern". Ungefähr ein Duzend Männer, verschiedenen Alters bildeten eine "Partie", eine "Rotte", wie man später sagte. Vormann bei uns war der lange Hertkorn. In der Nähe der Partie wurde ein einfaches, viereckiges Zelt errichtet zum Unterschlupf bei anhaltendem Regen und zum Einnehmen des Vespers und des Mittagessens. Zwei Reihen Bänke, ein langer Tisch und ein Kanonenöfelchen waren das Mobiliar. Unser Georg Schneider, der später im Krieg schwer verwundet wurde, war zu meiner Zeit der jüngste Gramper, aber ein kräftiger Kerl, der ein Bierfässchen lustig ein paar hundert Meter auf der Schulter trug. Das Bier, das Georg besorgte, kam direkt aus einer kleinen Dorfbrauerei und war billig; das rote kostete 10 Pfennig, das schwarze 12 Pfennig."
Ende des 2. Teils. Fortsetzung folgt demnächst
VG
Andreas
Beitrag editiert am 21. 04. 2012 17:59.
Nun gut, dann hier Auszüge aus "Auf dem Feuerwagen. Erinnerungen eines königlich-sächsischen Dampflokführers." von Richard Richter, 1935 in den Ruhestand als Vorsteher des Bahnbetriebswerks Glauchau. Aufgeschrieben von Anni und Klaus Richter, ISBN 3613711907.
"Und des Großvaters Gedanken gingen noch weiter zurück: 'Was ich da 1906 in Sachsen erlebt hatte - kein Vergleich. Wie wir uns mit viel Sand dahinquälten, vor allem bei schweren Güterzügen, Wasser und Kohle rasch vertan waren, wir uns einen Wasserkran mehr als einmal im Herbst, wo die Blätter millionenfach fielen, herbeisehnten.
Da sahen wir manches überfahrenes Stück Wild als Belohnung für die Unwirtlichkeiten auf der Strecke an, wenn wir uns mit der Dampflok immer wieder bemühen mußten, in Fahrt zu kommen, die geringe Geschwindigkeit zu halten.
Manchmal hatten wir nur Zeit, das Wild, ob nun Reh oder Wildschwein, auf das kurze Blech vor der Rauchkammertür zu buckeln, wenn es ein großes Tier war. Das ist gar nicht so einfach, wenn man am Bahndamm ganz unten steht. Wir hätten da schon manchmal einen kleinen Flaschenzug zum Führerstand hinauf gebrauchen können, vor allem dann, wenn das Tier äußerlich kaum verletzt war. [...]
Kam es uns ungelegen, gaben wir das Tier auch gleich einmal auf dem nächsten Bahnhof ab, wo der Bahnhofswirt das Beste daraus machte und sich mit einer sonntäglichen Einladung zum Essen revanchierte.'
Rückblickend mutet dies fast wie Wilderei an, aber wer körperlich hart arbeitete, der brauchte nicht nur Tee oder meist zu dünnen Kaffee, sondern auch mal einen guten Bissen Fleisch oder eben Aussicht auf zwei oder drei Gratisbier in der Gastwirtschaft.
Die große Zahl der Wildunfälle verwundert kaum. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Eisenbahn verstärkt ihre Schienennetze durch Wald und Flur gelegt, also durch den natürlichen Lebensraum des Wildes. Ärger mit dem Förster gab es kaum, wenn Lokführer und Heizer mit ihrer Lok mal wieder ein Tier erlegt hatten. Auch der Bauer war nicht traurig, denn er freute sich über jedes fehlende Wildschwein, das keinen Schaden mehr auf seinen Feldern anrichtete. ' [...]
Aber Großvater schätzte Kraft und Können seines Heizers auch auf freier Strecke: 'Wenn wir mal unverhofft ein Reh oder gar ein Wildschwein mit der Dampflok erlegten, dann war er es, der das Wild auf den Führerstand hob und dann hockend oder knieend mit einem großen Messer zerlegte, währen ich allein auf die Signale und die Strecke schaute, etwas verhaltener fuhr. Und während er sich auf dem Führerstand schund, auch mal zu einem Beil griff, war er mit einem guten Gefühl für die Strecke, wenn sich ein Block- oder Einfahrsignal anbot, wieder oben, schaute schwitzend durch seine Stirnfenster nach vorn. [...] War das Wild schließlich zerlegt, wurde mit einem Wasserschlauch der Führerhausboden gereinigt und das Fleisch auf dem Tender abgelegt. Danach fragte der Heizer, nun eine Zigarre rauchend, seinen auch zufriedenen Lokführer: 'Wem geben wir heute davon etwas ab?'
Er meinte damit die Berufskollegen längs der Strecke, an denen sie noch vorbeifuhren. Den Eisenbahnern, die nicht im Fahrdienst waren, geriet ja nie Wild unter die Räder, während die Lokpersonale oft reichlich davon hatten. Im Winter warfen sie das zerteilte Wild an den Schrankenposten einfach in den Schnee, wo es sich gut abhob. Im Sommer wickelte man schon ein Tuch oder ein Stück Sack drum, zielte in Richtung der Schrankenwärterin oder des Bahnwärters. Die Personal hatten da schon gute Übung, denn mit manchem Kohlebrocken tat man es in eiskalten Wintern auch so.
Kurz vor dem Abwurf schloss der Dampflokführer den Regler oft gänzlich, vom Triebwerk her kamen nun ganz andere Schnaufgeräusche, die den Schrankenwärter sogleich aufhorchen ließen. Sie wußten dann: 'Das Lokpersonal will etwas von uns.' Bei einem Reisezug mußte alles rasch gehen. Bei einem Güterzug hielt man schon mal wenige Minuten an, wenn die Stelle nicht gerade in einer Steigung lag, und gab das Wild direkt von Hand zu Hand. Auch mal das ganze Stück, wenn man zu Hause noch genug davon vorrätig hatte, Kühlschränke gab es damals nicht. Manchmal verkauften die Schrankenwärter davon sogar noch etwas an einen Gastwirt und hatten - im doppelten Sinn - ein gutes Zubrot.' "
LG, Andreas
"Und des Großvaters Gedanken gingen noch weiter zurück: 'Was ich da 1906 in Sachsen erlebt hatte - kein Vergleich. Wie wir uns mit viel Sand dahinquälten, vor allem bei schweren Güterzügen, Wasser und Kohle rasch vertan waren, wir uns einen Wasserkran mehr als einmal im Herbst, wo die Blätter millionenfach fielen, herbeisehnten.
Da sahen wir manches überfahrenes Stück Wild als Belohnung für die Unwirtlichkeiten auf der Strecke an, wenn wir uns mit der Dampflok immer wieder bemühen mußten, in Fahrt zu kommen, die geringe Geschwindigkeit zu halten.
Manchmal hatten wir nur Zeit, das Wild, ob nun Reh oder Wildschwein, auf das kurze Blech vor der Rauchkammertür zu buckeln, wenn es ein großes Tier war. Das ist gar nicht so einfach, wenn man am Bahndamm ganz unten steht. Wir hätten da schon manchmal einen kleinen Flaschenzug zum Führerstand hinauf gebrauchen können, vor allem dann, wenn das Tier äußerlich kaum verletzt war. [...]
Kam es uns ungelegen, gaben wir das Tier auch gleich einmal auf dem nächsten Bahnhof ab, wo der Bahnhofswirt das Beste daraus machte und sich mit einer sonntäglichen Einladung zum Essen revanchierte.'
Rückblickend mutet dies fast wie Wilderei an, aber wer körperlich hart arbeitete, der brauchte nicht nur Tee oder meist zu dünnen Kaffee, sondern auch mal einen guten Bissen Fleisch oder eben Aussicht auf zwei oder drei Gratisbier in der Gastwirtschaft.
Die große Zahl der Wildunfälle verwundert kaum. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Eisenbahn verstärkt ihre Schienennetze durch Wald und Flur gelegt, also durch den natürlichen Lebensraum des Wildes. Ärger mit dem Förster gab es kaum, wenn Lokführer und Heizer mit ihrer Lok mal wieder ein Tier erlegt hatten. Auch der Bauer war nicht traurig, denn er freute sich über jedes fehlende Wildschwein, das keinen Schaden mehr auf seinen Feldern anrichtete. ' [...]
Aber Großvater schätzte Kraft und Können seines Heizers auch auf freier Strecke: 'Wenn wir mal unverhofft ein Reh oder gar ein Wildschwein mit der Dampflok erlegten, dann war er es, der das Wild auf den Führerstand hob und dann hockend oder knieend mit einem großen Messer zerlegte, währen ich allein auf die Signale und die Strecke schaute, etwas verhaltener fuhr. Und während er sich auf dem Führerstand schund, auch mal zu einem Beil griff, war er mit einem guten Gefühl für die Strecke, wenn sich ein Block- oder Einfahrsignal anbot, wieder oben, schaute schwitzend durch seine Stirnfenster nach vorn. [...] War das Wild schließlich zerlegt, wurde mit einem Wasserschlauch der Führerhausboden gereinigt und das Fleisch auf dem Tender abgelegt. Danach fragte der Heizer, nun eine Zigarre rauchend, seinen auch zufriedenen Lokführer: 'Wem geben wir heute davon etwas ab?'
Er meinte damit die Berufskollegen längs der Strecke, an denen sie noch vorbeifuhren. Den Eisenbahnern, die nicht im Fahrdienst waren, geriet ja nie Wild unter die Räder, während die Lokpersonale oft reichlich davon hatten. Im Winter warfen sie das zerteilte Wild an den Schrankenposten einfach in den Schnee, wo es sich gut abhob. Im Sommer wickelte man schon ein Tuch oder ein Stück Sack drum, zielte in Richtung der Schrankenwärterin oder des Bahnwärters. Die Personal hatten da schon gute Übung, denn mit manchem Kohlebrocken tat man es in eiskalten Wintern auch so.
Kurz vor dem Abwurf schloss der Dampflokführer den Regler oft gänzlich, vom Triebwerk her kamen nun ganz andere Schnaufgeräusche, die den Schrankenwärter sogleich aufhorchen ließen. Sie wußten dann: 'Das Lokpersonal will etwas von uns.' Bei einem Reisezug mußte alles rasch gehen. Bei einem Güterzug hielt man schon mal wenige Minuten an, wenn die Stelle nicht gerade in einer Steigung lag, und gab das Wild direkt von Hand zu Hand. Auch mal das ganze Stück, wenn man zu Hause noch genug davon vorrätig hatte, Kühlschränke gab es damals nicht. Manchmal verkauften die Schrankenwärter davon sogar noch etwas an einen Gastwirt und hatten - im doppelten Sinn - ein gutes Zubrot.' "
LG, Andreas
Nur registrierte und eingeloggte User können Antworten schreiben.
Einloggen ->
Noch nicht registriert? Hier können Sie Ihren kostenlosen Account anlegen: Neuer N-Liste Account
Zum Seitenanfang
© by 1zu160.net;